Aktivitäten

Pflegekammer – jetzt NRW!

Der Hörsaal der Universitätsklinik war voll. Rund 400 Pflegefachpersonen aller Altersgruppen und aus allen Bereichen der Pflege waren dem Aufruf des Pflegerates NRW und des VPU gefolgt, um sich am politischen Gesprächsabend zu beteiligen. Aber nicht nur die Pflegepersonen waren eingeladen,
sondern auch die Abgeordneten des Gesundheitsausschusses des Landtages NRW.

 

Die gesundheitspolitischen Sprecher hatten Gelegenheit, im Rahmen einer Podiumsdiskussion Stellung zu beziehen und sich den Fragen von Fachexperten und dem Plenum zu stellen. Von den Regierungsparteien waren Günter Garbrecht (SPD), Vorsitzender des Ausschusses für Gesundheit, Arbeit und Soziales und Arif Ünal, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen/Bündnis 90, vertreten. Für die Oppositionsparteien waren Peter Preuß, gesundheitspolitischer Sprecher CDU-Fraktion und Susanne Schneider, Sprecherin für die FDP-Fraktion erschienen.
  

Die Kammer ist kein Selbstzweck für die Pflegeberufe!

Schon in seiner Begrüßungsrede brachte Pflegeratsvorsitzender Ludger Risse die Situation der Pflege in NRW und auf Bundesebene auf den Punkt und erläuterte wesentliche Aspekte für die Gründung einer Kammer. Es geht in erster Linie um den Schutz der Pflegebedürftigen vor unzureichend qualifizierten Pflegepersonen. Dieses ist die primäre Aufgabe einer Kammer. Die Kammer ist damit also kein Selbstzweck für Pflege. „Das muss man klar so benennen“, so Ludger Risse. Dennoch wird die Kammer auch für die Situation der Pflegenden selbst Wirkung zeigen, denn qualifizierte Pflege kann nur erbracht werden, wenn die Rahmenbedingungen für diejenigen, die diese Arbeit leisten, auch stimmen. Das Gesundheitssystem ist in wesentlichen Teilen durch die Selbstverwaltung organisiert und gestaltet. Die Politik übergibt viele Aufgaben, genannt sei hier als Beispiel die Übergabe an den gemeinsamen Bundesausschuss. Die Pflege ist hier aber nicht mit Stimmrecht beteiligt, weil es kein offizielles Gremium, wie z.B. die Bundesärztekammer, gibt. Das kann Auswirkungen in die Ausgestaltung des DRG-Systems und die Kostenverteilung zu Lasten der Pflege haben. Auch die Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen sollte in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden. Risse wies darauf hin, dass es nach wie vor fast ein Skandal ist, dass bestens ausgebildete Wundmanagerinnen und Wundmanager kein Verordnungsrecht besitzen, aber im Gegenzug jeder Arzt, unabhängig von Fachrichtung und Kenntnisstand, verordnen kann.

„Die Pflege in NRW ist umkammert!“, so beschrieb der Pflegeratsvorsitzende die Situation des Landes. Lediglich noch 16% der 1.661 km langen Landesgrenze wird zukünftig „kammerfrei“ sein. Das ist durch die Entwicklungen in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen sicher; Belgien und die Niederlande sind hier ohnehin weiter, so dass nur noch 272 km Grenze zum Bundesland Hessen bleiben. In den Grenzgebieten muss man daher dann sogar damit rechnen, dass die unzureichend ausgebildeten Pflegepersonen, welche sich den Qualitätskontrollen der Kammer entziehen wollen, zukünftig Arbeitsplätze in NRW suchen werden und qualifizierte Pflegekräfte, denen Anerkennung und Wertschätzung sehr wichtig ist, dann eben im benachbartem Bundesland arbeiten.

Die Kammer wirkt…schon in der Gründungsphase

Als Gastrednerin aus der Gründungskommission der Pflegekammer in Rheinland-Pfalz berichtete die stellvertretende Vorsitzende Sandra Postel in eindrucksvoller Weise über den Weg zur Errichtung der Pflegekammer in Rheinland-Pfalz. Sie legte dar, wie die Kammer, die sich ja noch in der Gründung befindet schon jetzt Wirkung zeigt. „Wir werden schon jetzt zu wichtigen Entscheidungssitzungen eingeladen, von denen wir vorher noch nicht einmal wussten“, so Postel. Die Pflegekammer sei daher kein zahnloser Tiger, sondern eine wirkungsvolle Einrichtung zur Mitgestaltung im Gesundheitswesen. Sie betonte, wie wichtig es ist, dass die Pflege in der Selbstverwaltung beteiligt sei, weil viele Entscheidungen ohne die größte Gruppe im Gesundheitswesen getroffen worden seien.

Der zweite vorgesehene Referent des Abends, Prof. Dr. Robert Roßbruch, der einige rechtliche Fragen erläutern sollte, hat leider aufgrund eines Verkehrsunfalls an diesem Abend Düsseldorf nicht erreicht.

   

Dialog mit dem Podium

In der anschließenden Podiumsdiskussion, welche von dem Moderator und Journalisten Martin Wilger sehr lebhaft moderiert und geleitet wurde, bezogen die Vertreter der Landtagsfraktion zunächst Stellung. Diese Positionen lassen sich in etwa wie folgt zusammenfassen: Die Diskussion im Landtag ist durch einen Antrag der CDU erneut aufgenommen worden. Günter Garbrecht wies darauf hin, dass die Ergebnisse der Diskussionen und Expertenanhörung aus dem Jahr 2009 eben zu der Entscheidung geführt hätten, die Pflegekammer in NRW noch nicht einzuführen. Die SPD hat nach wie vor in einigen Punkten Bedenken, dazu gehören insbesondere die Fragen Pflichtmitgliedschaft Freiberuflichkeit. Man wolle sich dieser Diskussion aber durch eine erneute Anhörung stellen, um danach über die weitere Vorgehensweise zu entscheiden. Auch Arif Ünal (Grüne) wies darauf hin, dass sich die Grünen sehr stark für die Unterstützung der Pflege einsetzen, aber insbesondere in der Frage Zwangsmitgliedschaft Probleme sehen. Peter Preuß (CDU) berichtete, dass seine Partei einen Entwicklungsprozess genommen habe. Lange wurde auch das Thema Pflichtmitgliedschaft kritisch gesehen, inzwischen ist aber die CDU zu der Meinung gekommen, dass die Bildung einer Pflegekammer erforderlich sei. Susanne Schneider von der FDP machte deutlich, dass es auch in ihrer Partei von einer einstmals sehr ablehnenden Haltung zu einer befürwortenden Haltung gekommen ist. Allerdings wird auch hier die Frage der Zwangsmitgliedschaft sehr kritisch gesehen.

 

Zwangsmitgliedschaft und Befragung 

 

Die Frage der Zwangsmitgliedschaft führt zu der Einschätzung, dass eine Befragung der Pflege in NRW von einigen politischen Fraktionen als notwendig angesehen wird. Vom Moderator auf die Befragung angesprochen, bezog Risse eindeutig Stellung. „Es geht um den Schutz der Pflegebedürftigen in NRW“, dass ist die hoheitliche Aufgabe einer Kammer. Demzufolge wären diese Menschen zu befragen, was natürlich kaum möglich sein wird“. Er wies auf die Ergebnisse der Befragung in anderen Bundesländern hin und zeigte sich überzeugt, dass auch in NRW eine Befragung keine anderen Ergebnisse liefern würde. Deutlich kritisierte er den negativen Terminus Zwangsmitgliedschaft. „Es gibt keinen Zwang“ so Risse, wohl aber die Pflicht, in einem Beruf mit so hoher Verantwortung gegenüber hilfebedürftigen Menschen, seine Qualifikation regelmäßig darzulegen. Auch der Mitgliedsbeitrag von voraussichtlichen 10€ im Monat sei da kein Argument. Das Plenum bestätigte diese Sichtweise mit Applaus.
   

Ver.di: Die Kammer löst die Probleme nicht!

 

Eingeladen waren auch die Kritiker der Kammerentwicklung. Insbesondere Ver.di, vertreten durch Wolfgang Cremer und einer Gruppe Ver.di-Mitglieder, kamen bei der Veranstaltung zu Wort. Cremer wies insbesondere darauf hin, dass Themen wie Personalmangel, Unterbesetzung und maßlose Überforderung der Pflegenden durch eine Kammer nicht gelöst werden. Der Pflegeratsvorsitzende Risse bestätigte, dass eine Kammer nicht direkt dafür sorgen wird, dass es mehr Personal in den Heimen und auf den Stationen der Krankenhäuser geben wird. „Eine Kammer kann nicht für mehr Personal sorgen, wohl aber für mehr Ansehen und mehr Respekt vor der Berufsgruppe durch Politik, Gesellschaft und alle anderen Aktiven im Gesundheitswesen“. Und genau das werde dazu beitragen, die Situation dauerhaft zu verbessern.

   

 

Die Stimmung im Plenum findet Gehör im Podium

Bei zwei Ad hoc-Abfragen des Moderators Martin Wilger ergab sich ein eindrucksvolles Stimmungsbild des Plenums.

  1. Der überwiegende Teil des Plenums waren Pflegepersonen, die direkt am Bett am Patienten tätig sind.
  2. Auf die Frage, wer denn nun wirklich die Kammer wolle, waren schlagartig fast alle Arme weit in die Luft gestreckt.

In der Diskussion mit den sehr aktiven Teilnehmern wurde die Ungeduld der Pflegeprofis aus NRW deutlich: „Wir diskutieren seit vielen Jahren über das Thema Kammer, das muss jetzt endlich entschieden werden“, war nicht nur aus dem Munde erfahrener, sondern auch von jungen Pflegekräften und Schülern zu hören. Es waren Botschaften, die durchaus auch beim Podium und den politisch Verantwortlichen Gehör fanden und aufmerksam verfolgt wurden. Die rege Diskussion wurde nahezu zeitgleich auf Twitter verbreitet und fand auch dort viele Beteiligte. Das galt ebenfalls für die Wortbeiträge der Fachexperten aus der ersten Reihe. So legte Rechtsanwalt Tobias Weimer noch einmal die Rechtslage zur Verfassungsmäßigkeit und Freiberuflichkeit dar. Sandra Postel berichtete, dass in Rheinland-Pfalz all die Fragen, die in NRW bestehen, auch in Rheinland-Pfalz bestünden hätten und man dafür Lösungen gefunden habe. Auch die anwesende Patientenbeauftragte der Universitätsklinik Köln signalisierte in den Gesprächen rund um die Veranstaltung, dass Patienten unbedingt sicher sein wollen und von ausreichend qualifizierten Pflegepersonen versorgt werden wollen.

   

 

Das Ziel der Veranstaltung wurde erreicht

Das Ziel der Veranstaltung, einen offenen Austausch und politischen Dialog zu pflegen, wurde vollends erreicht, auch wenn die Veranstalter gern auch weitere eingeladene Gesundheitspolitiker aus NRW begrüßt hätten. So bekräftigten alle anwesenden Fraktionsvertreter, dass man sich mit dem Thema in der parlamentarischen Arbeit weiter auseinander setzen werde. Peter Preuß ging auf Nachfrage des Moderators noch einen Schritt weiter, sollte es bei der nächsten Landtagswahl zu einem Wahlsieg der CDU kommen, wird definitiv die Bildung einer Pflegekammer im Regierungsprogramm bzw. im möglichen Koalitionsvertrag stehen. Aber auch bei SPD, Grünen und FDP wurde sehr deutlich, dass sie sich mit diesem Thema ernsthaft auseinandersetzen, aber noch nicht alle Bedenken ausgeräumt sind.

Zum Abschluss der Veranstaltung hatte Jan Wollermann, Initiator der Online-Petition, noch ein Giveaway für die politischen Vertreter. Er überreichte einen „Unterschriftenscheck“ über 29.612 Unterschriften aus NRW, unterstützt durch weitere 12.691 Unterschriften aus anderen Bundesländern. Das steht für all denjenigen, die sich auf seine private Initiative an der Onlinepetition zur Gründung einer Pflegekammer–jetzt NRW! ausgesprochen haben.


Bericht: Pflegerat NRW Risse/Krake